Die besseren Eltern? Die Eltern! Teil 2: Hier sind die Kinder wichtiger als die Schule

 

Mit meiner Schlussfolgerung, dass verpflichtende Klassenfahrten im Grundschulalter überflüssig sind, stehe ich nicht alleine da. Ich denke da gibt es eine hohe Dunkelziffer bei den Kritikern. Eine meiner Leserinnen schrieb mir: „Es ist in der Tat so, dass Kinder nach Klassenfahren mehrere Tage brauchen, bis sie wieder „geerdet“ sind. Unser mittlerer Sohn ist nach „Landschulwochen“ oft tagelang missmutig, regt sich über alles auf, bis er die Gelegenheit hatte, mal zu weinen und seinen Frust über die Woche rauszulassen. Ich musste ihn dann immer mehrere Tage vermehrt in den Arm nehmen etc.“

Eine andere Leserin dieses Blogs schrieb die Erfahrungen, die sie in Schule und Elternvertretung als Kritikerin einer einwöchigen Klassenfahrt für Erstklässler machte.

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Die Klassenfahrt – nicht für alle eine klasse Fahrt

von Brigitte Lelling

Als ich selbst in der 4. Klasse zum ersten Mal für 2 Nächte auf Klassenfahrt ging, war das für uns Schüler ein ganz besonderes und unvergessliches Ereignis. Noch heute erinnere ich mich gut daran, was wir alles erlebt haben und wieviel Spaß wir hatten. In den darauffolgenden Jahren nahm ich an vielen Ferienfreizeiten teil, zuerst als Teilnehmerin, später als Betreuerin und ich hätte mir keinen tolleren Urlaub vorstellen können. Aus dieser Erfahrung wählte ich dann auch später als Sozial-Pädagogin eine Arbeitsstelle, in der ich Reisen für behinderte Kinder und Erwachsene organisierte und begleitete.

Als Mutter erfuhr ich in den letzten 3 Jahren jedoch, dass die Klassenfahrt nicht von allen Kindern als eine „klasse Fahrt“ erlebt wird, sondern dass sie für einige eine Überforderung (zumindest in einigen Bereichen) darstellt. Als mein Sohn in der 1. Klasse aus dem 5-tägigen Schwimmlager zurückkam, war er emotional völlig erschöpft und wollte im zweiten Jahr gar nicht mehr mitfahren.

Ich war unsicher, ob vielleicht nur mein Kind überfordert war, zumal uns die Lehrer im Voraus begeistert berichtet hatten, wie große Entwicklungsschritte die Kinder auf so einer Fahrt machen und dass in den letzten Jahren nur ein Kind nach Hause geschickt werden musste. Nach und nach hörte ich aber auch von anderen Kindern, die teilweise große Probleme hatten: viele hatten Heimweh, ein Kind musste sogar bei der Lehrerin schlafen, ein Kind hat nach der Klassenfahrt eine Stunde lang geweint, einige wollten in den darauffolgenden Jahren nicht mehr mit, immer wieder gab es Kinder die (ohne Windel oder Matratzenschutz) eingenässt haben, etc..

Wahrscheinlich sind diese Kinder eine Minderheit und vielleicht gibt es viele, für die die Klassenfahrt der Höhepunkt im Schuljahr ist. Was mich traurig macht ist, dass Kinder mit Problemen im Klassenfahrtkonzept meistens nicht berücksichtigt werden und dass es kaum individuellen Ausnahmen gibt (mit anderen Worten: alle müssen an der gesamten Fahrt teilnehmen). In unserer Schule ist ein wichtiges Prinzip, dass jedes Kind (mehr oder weniger) nach seinem eigenen Tempo lernen darf, aber von jedem Erstklässler wird erwartet, dass er an der 5-tägigen Klassenfahrt teilnimmt.

Auf meine Frage, warum nicht in den ersten Jahren auch eine 3-tägige Klassenfahrt ausreicht, war die Antwort der Schulelternsprecherin:

„die Lehrer haben für uns nachvollziehbar dargestellt haben, dass die Vorteile einer einwöchigen Klassenfahrt überwiegen. Die Argumente sind Ihnen sicherlich bekannt, die Dauer von fünf Tagen ist unter anderem gewählt, weil:                                                  

  • die Klassenfahrt fest zum Konzept der Schule gehört,
  • die Zeit notwendig ist, damit man nicht nur ankommt und gleich wieder abreist,
  • Zeit für gemeinsame Aktivitäten bleibt,
  • Zeit um Freundschaften zu schließen,
  • die Jahrgangsmischung es sinnvoll macht so vorzugehen,
  • man bereits bei Schuleintritt Kenntnis über die einwöchige Klassenfahrt erhält.“

Interessanterweise empfiehlt selbst das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur, dass „Klassenfahrten in der Primarstufe höchstens 3 Tage dauern sollen“

http://eltern.bildung-rp.de/fileadmin/user_upload/eltern.bildung-rp.de/Richtlinien_fuer_Schulfahrten_02.pdf

Auf dieses Argument und auf den Einwand, dass einige Kinder überfordert sind, wurde seitens der Lehrer und Elternsprecher überhaupt nicht eingegangen. Nach zwei Versuchen, das Thema in der Elternkonferenz sachlich zu diskutieren, und einem Gespräch mit der Schulleitung habe ich dann wie schon einige Eltern vor mir aufgegeben.

Trotzdem möchte ich alle betroffenen Eltern ermutigen, einen Weg zu suchen, der für ihr Kind das Beste ist.

Die Schwierigkeit dabei ist natürlich, dass niemand im Voraus sagen kann, ob die Klassenfahrt für das Kind eine Herausforderung ist, aus der es gestärkt und mit neuen Fähigkeiten herausgeht, oder eine Überforderung, die (wie viele andere schwierige Situationen im Leben) Blockaden in der emotionalen Entwicklung des Kindes setzt.

Eine Hilfe, die richtige Entscheidung zu fällen, kann sein, das Kind vorher schon mal für ein paar Tage bei Freunden übernachten zu lassen und zu schauen, wie es ihm damit geht. Auch ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Klassenlehrer oder erfahrenen Eltern kann helfen.

Leichter (aber auch nicht immer möglich) ist es im Nachhinein zu beurteilen, wie das Kind die Klassenfahrt verarbeitet hat. In welchem Zustand ist es nach Hause gekommen? Will es im nächsten Jahr wieder mitfahren? Was berichtet das Kind von seinen Erfahrungen? Was sagen die Lehrer?

Ich würde mir wünschen, dass die Lehrer die Wahrnehmung der Eltern ernst nehmen und mit ihnen zusammen nach individuellen Lösungsstrategien suchen. Meinen Sohn habe ich z.B. im 2. Schuljahr am 3. Tag der Klassenfahrt nachgebracht und das war – denken wir – für ihn genau das Richtige. Im 3. Jahr wollte er dann auch die ganze Zeit dabei sein.

Wichtig ist auf jeden Fall, dass wir Eltern den Kindern zeigen, dass wir ihre Ängste und Sorgen ernstnehmen und dass wir (wenn möglich) zusammen mit den Lehrern einen Weg suchen, wie sie die Herausforderung Klassenfahrt erfolgreich meistern können. Und selbst wenn sie dann in gewissen Bereichen Schwierigkeiten erleben, stärkt sie zumindest der Rückhalt und das Verständnis des Elternhauses.                                                                                    

Ich wünsche mir, dass jedes Kind einmal die Klassenfahrt als „klasse Fahrt“ erleben kann!

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„Ganz schön forsch die Frau“, sagen wahrscheinlich die Lehrer und die Elternsprecher. Ich dagegen finde ihre Meinungsäußerung eher verhalten und diplomatisch. Eltern, erobert Euch dasZepter zurück! Das ist die Devise, denn letztendlich seid wir es, die für unsere eigenen Kinder zuständig sind. Und Eltern sind in der Regel mit einem ganz feinen Sensorium für die Reife ihres Kindes ausgestattet. Es steht niemandem zu, dieses in Zweifel zu stellen. Das steht so im Grundgesetzt. Noch jedenfalls.

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