Eltern weisen Freudetötern die Tür

Sind statistisch ermittelte altersgemäße Leistungen der Qualitätsmaßstab für die kindliche Entwicklung? Ganz sicher nicht. Ich behaupte sogar, dass diese falsche Annahme die Entwicklung von Kindern stören kann.

Mit 18 soll der junge Mensch den Führerschein bestanden haben. Eltern von Siebenjährigen erwarten, dass ihr Kind mit Freude viel liest. Eltern von Fünfjährigen, gehen davon aus, dass diese Schwimmen lernen. Die Entwicklungs-Bögen von Säuglingen geben vor, wann diese ihre Köpfchen heben, sich drehen, robben, krabbeln…

Neulich, auf einem Fest, erzählte mir eine Mutter über ihre Tochter. Sie erlernte erst mit 18 Monaten das Laufen. Das Warten war sehr schwer für die Eltern gewesen. Die Kinderärztin hatte sich beunruhigt gezeigt.

Erwartungen verderben den Eltern, im Falle ihrer Nichterfüllung, die Freude am Kind. Aber dabei bleibt es nicht. Die verdorbene Freude spürt das Kind. Das wiederum verliert langsam aber sicher die Freude an sich selbst.

Wie können sich Eltern gegen den Einzug des gemeinen Freudetöters in ihre Familie wehren?

Eins nach dem anderen?

Wenn Kindergartenkinder von ihrer Erzieherin zum Schwimmunterricht gebracht werden, dann ist das eine schöne Sache, denkt man. Die Kinder machen sich mit Hilfe eines Experten mit dem Wasser vertraut. So einfach ist das.

Nein so einfach ist das eben nicht! Ich sehe genau hin. Die Kindergärtnerinnen ziehen die Schwimmbeutel der Kinder in einem Bollerwagen zum Schwimmbad. Da frage ich mich: Wieso sollen Kinder, die noch nicht einmal in der Lage sind, ein Handtuch und eine Badehose oder Badeanzug zu tragen, das Schwimmen lernen? Die Anforderung ist in diesem Fall deutlich zu hoch. Fehlt die Kraft zum Tragen einer leichten Last, so müsste zunächst einmal diese trainiert werden. Eins nach dem anderen eben. Dann macht das Zusammenspiel von Erwartung und Entwicklung schon etwas mehr Freude. Der kleine Klaus schafft jeden Tag ein wenig mehr Gewicht und freut sich schon auf den Tag, an dem er die Badetasche ganz alleine zum Schwimmbad tragen kann. Erst dann kann nämlich endlich das Schwimmenlernen beginnen.

Die „Eins nach dem anderen“ Strategie ist schon ein bisschen besser als die, die sich nur nach dem Lebensalter ausrichtet. Aber auch sie hat ihre Einschränkung. Was ist denn, wenn Klausens Spielkamerad Adam im Grunde gar nicht schwimmen, sondern einfach nur spielen mag?

Hat er Freudetöter-Eltern, dann muss er im zarten Alter von 5 Jahren schon entscheiden, ob er das macht, was für ihn gut ist (Spielen) oder das, was für die Erwachsenen gut ist (Schwimmen Lernen). In der Regel wird er halbherzig am Schwimmunterricht teilnehmen und wenig Fortschritte machen. Genau dann droht dem Kind eine Störung in seiner Entwicklung. Das, was ihm gemäß wäre, das Spielen, wird unterbunden, damit er das vorantreiben kann, was ihm (noch) nicht gemäß ist. Das Schwimmenlernen. Des Schwimm-Angebot nutzt das Kind nicht umfänglich. Die Möglichkeit zu Spielen gar nicht. Es entwickelt sich nicht zufriedenstellend.

Gegen Freudetöter helfen nur Freudestifter!

Hätte er hingegen Freudestifter-Eltern, so würde er spielen, spielen und spielen…

Nehmen wir an, er baut eine Stadt aus Lego. Beim Spielen ist er glücklich und er lernt dabei. Er sortiert, zählt, bildet sich eine Vorstellung, die er nicht wahr machen kann. Es fehlen nämlich 7 rote Dachziegel. Dann ändert er seine Vorstellung. Er nimmt das Haus wieder auseinander und plant ein kleineres. So vergehen die Stunden…

Seine Mutter telefoniert derweil mit einer Freundin. Wie, Adam ist nicht im Schwimmunterricht!? Das kann doch nicht gut für das Kind sein. Im Alter von x müssen y…“ Die Mutter gerät so richtig unter Rechtfertigungsdruck, den sie stoisch erträgt.

Und das ist auch gut so. Ihr Adam entwickelt sich, während sie ihn vom System des Freudetötens abschirmt, voll nach Herzenslust und auf Hochtouren.

Zwar würden seine Eltern auch ganz gerne einmal auftrumpfen können. Wenn Oma demnächst ihren 70. feiert kommt Onkel Erwin sicher wieder mit seinen hochangepassten Enkeln daher. Aber, wie gesagt, Adams Mutter hat es schon gelernt, stoisch zu bleiben. Sie hat sich das Bild ihres glücklichen kleinen Lego-Spielers eingeprägt. Wenn Onkel Erwin auftrumpft, schließt sie die Augen sieht das Bild und lächelt in sich hinein.

Das System von Entwicklungsbogen, Lehrplan und anderen „altersgemäßen“ Standard-Anforderungen scheitert daran, dass es keinen Begriff von Individualität hat. Vergleichen Sie einmal die schnöde statistische Mitte mit dem Zauber ihres einzigartigen Kindes. Das erste ist eine tote und starre Vorgabe, das zweite ein lebendiges und schillerndes Wunderwerk Gottes. Das zu sehen und zu hegen, das ist der Dienst demütiger Erwachsener an der Zukunft. Nein, das Kind wurde nicht geboren, damit die Erwachsenen ihre und seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Nein, es wurde nicht geboren, damit es die das System der Sozialversicherung sichert oder ein tüchtiger Rettungsschwimmer wird.

Ein Kind wurde geboren, weil Gott es so wollte und damit es die Gaben, die er ihm schenkte, entfalten kann. Dafür braucht es bescheidene Eltern, die sich an ihm erfreuen und die sich immer bemühen, für das Kind einen Freiraum zu halten, in dem es sich zu sich selbst und aus sich selbst heraus entwickeln kann. Sehnt sich Klaus nach dem Schwimmen, so sorgen seiner Eltern für eine Umgebung, in der er sich das Schwimmen lehren kann. Sie helfen ihm, es selbst zu tun. Sieht sich Adam jetzt gerade als Mann des Städtebaus, so schützt seine Mutter ihn derweil vor dem Schwimmunterricht.

Natürlich haben Eltern, die sich ja selber Teil der Gesellschaft sind , ein berechtigtes Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anpassung. Die Eltern von Klaus müssen das nicht zurückstellen. Durch Zufall ist sein Bestreben in der derzeitigen gesellschaftlichen Anforderung Konsens. Die von Adam müssen jetzt wohl oder übel ausscheren. Übermorgen wird es vielleicht umgekehrt sein. Who cares? Darauf kommt es zum Glück nicht an, in Familien die dem Freudetöter die Tür weisen und statt dessen die Freude hereinlassen.